Archäologie im Lahntal bei Niederweimar und Argenstein

Im Lahntal bei Niederweimar haben Menschen vieler vor- und frühgeschichtlicher Epochen Spuren im Boden hinterlassen und eine Kulturlandschaft mit einer nachweislich über 11.000 jährigen Besiedlungsgeschichte geformt.

Eine unerwartet ergiebige Landschaft

Die weiträumige Tallandschaft mit zahlreichen Fließgewässern und die hohe Bonität der Böden in einem naturgegebenen Verkehrsraum entlang der Lahn, boten bereits in vorgeschichtlicher Zeit alle Voraussetzungen für einen günstigen Lebensraum. In der heute eben erscheinenden breiten Talsohle war jedoch noch vor Anfang der 1990er Jahre eine derartige Fülle archäologischer Befunde nicht erwartet worden. Denn die weite Auenlandschaft ist seit Jahrhunderten überschwemmungsgefährdet. Bei Untersuchungen zur Geomorphologie in den mächtigen Geländeaufschlüssen der Kiesgrube von Niederweimar entdeckte der Geograph Dr. Ralf Urz erstmals archäologische Relikte.

Foto tiefer Baggerschnitt durch Auensedimente und Kolluvien.

Umwelt und Landschaft

Mittels geomorphologischer Analysen im prähistorischen Siedlungsareal bei Niederweimar werden die Einflüsse der Fluss- und Hochwasserdynamik von Lahn und Allna auf das Siedlungsgeschehen untersucht.

Die archäologischen Ausgrabungen im Lahntal bei Niederweimar haben eine archäologische Siedlungslandschaft erschlossen, die bis in die heutige Zeit durch die Fließgewässer Lahn und Allna und ihre Sedimente geprägt und wesentlich beeinflusst wurde.

Die geowissenschaftliche Analyse der Sedimente und Prozesse im Bereich der prähistorischen Siedlungen und ihrem Umfeld trägt dazu bei, die wechselseitige Beziehung zwischen dem Wandel der Flusslandschaft und ihrer Besiedlungsgeschichte besser zu verstehen.

Ziel geomorphologischer Untersuchungen ist die Rekonstruktion der holozänen Fluss- und Reliefentwicklung im Umfeld der archäologischen Grabungsmaßnahmen im Lahntal zwischen den Gemeinden Niederweimar und Argenstein.

Als Informationsquellen zur Geschichte dieser Flusslandschaft und ihrer anthropogenen Nutzung in prähistorischer Zeit werden Geoarchive, wie Siedlungshorizonte, Grubenfüllungen, Bodenrelikte, Bodenab- und -auftrag (Kolluvien, Auensedimente), Flussterrassen und ehemalige Bach- und Flussrinnen ausgewertet.

Methodische Schwerpunkte liegen in der stratigraphischen Auswertung von Grabungsprofilen und Tiefschnitten sowie in der geomorphologischen und sedimentologischen Kartierung des Grabungsumfeldes. Die Auswertung stützt sich auf archäologische, physikalische und botanischer Datierungsmethoden wie auch auf geochemische Laboranalysen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Siedlungen auf älteren, spätglazialen Terrassenflächen lagen. Über der feuchten Aue konnten sie nur phasenweise von Hochwässern erreicht werden. In den trockeneren Phasen weisen Siedlungsschichten und Kolluvien auf eine intensive Nutzung durch Besiedlung und Landwirtschaft hin. 

Erste Ergebnisse wurden im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts in den Jahren 2019/2020 erarbeitet. Sie wurden gemeinsam mit den archäobotanischen Ergebnissen ausgewertet und dargestellt. Die entsprechende Publikation ist in redaktioneller Bearbeitung und wird im E-Journal „Fundberichte Hessen Digital“ erscheinen.

Besiedlungsgeschichte seit dem Mesolithikum

Bei den seit 1991 fortlaufenden archäologischen Voruntersuchungen in den Erweiterungsflächen zeigte sich, dass die prähistorische Topografie von älteren hochwasserfreien Geländerücken und Kiesbänken geprägt war. In dem Mündungswinkel zwischen Lahn und Allna bot sich so ein geschützter Siedlungsraum, der vom Mesolithikum bis zur römischen Kaiserzeit immer wieder besiedelt wurde. Insgesamt wurden im Kiesgruben Bereich bis heute rund 54 Hektar Fläche untersucht. Innerhalb dieser Areale wurden rund 6000 archäologische Strukturen/Verdachtsstellen dokumentiert.

Archäobotanik

Seit Beginn der Ausgrabungen prähistorischer Auensiedlungen bei Niederweimar in den 1990er Jahren sind archäobotanische Untersuchungen zur Landwirtschafts-, Ernährungs- und Umweltgeschichte mit dabei.

Ziel der archäobotanischen Arbeiten ist es, Einblicke in landwirtschaftliche Arbeiten, in das pflanzliche Nahrungsangebot sowie in lokale Umwelt- und Anbaubedingungen der Siedlungen zu gewinnen. Untersucht wurden inzwischen Siedlungsspuren der frühen bäuerlichen Gesellschaften des Neolithikums, Siedlungen der Bronze- und Eisenzeit, eine kurze germanischen Siedlungsphase um Christi Geburt und eine hochmittelalterliche Wüstung. Durch die wiederholte Besiedlung waren die Voraussetzungen günstig, um auch die diachrone Entwicklung von Kultur- und Nutzpflanzen sowie die Ausbreitungsgeschichte der Wildpflanzen untersuchen zu können. Diese Entwicklung im Wechsel der kulturellen und natürlichen Einflüsse über etwa 6000 Jahre verfolgen zu können, ist ortskonstant nur selten möglich.

Bisher konnten aus mindestens 150 datierten Grubenbefunden, Siedlungsschichten, Kolluvien und fluvialen Rinnen etwa 71.00 Pflanzenreste, hauptsächlich Früchte und Samen, isoliert und botanisch bestimmt werden. In den untersuchten Siedlungsbefunden zeichnen sich insbesondere die landwirtschaftlichen Arbeiten durch eine Vielzahl von Kulturpflanzenresten und sie begleitende Wildpflanzen ab. Dabei bestimmte stets die Getreidewirtschaft das Bild der botanischen Makroreste. Sichtbar werden phasenweise attraktive Siedlungs- und Wirtschaftsstandorte. Genutzt wurden die fruchtbaren Böden auf Auensedimenten wie auch auf den Lössen des westlichen Talrands zum Anbau von Kulturpflanzen, während gleichzeitig die Wälder, Brachflächen und feuchten Auenbereiche einer Viehwirtschaft genügend Raum gaben.

Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts erfolgte in den Jahren 2017-2019  eine umfangreiche Auswertung. Eine Publikation der Ergebnisse befindet sich in redaktioneller Bearbeitung und wird in dem von der hessenARCHÄOLOGIE herausgegebenen neuen E-Journal „Fundberichte Hessen Digital“ erscheinen.

Künftig wird es Ziel archäobotanischer Analysen im Kiesgrubenvorfeld sein, die Datenbasis an Pflanzenresten weiter zu verdichten, Kenntnislücken zu schließen, und erste Vergleiche von Siedlungen gleicher Zeitstellung in der Fläche vorzunehmen.

Eine archäologische Spur durch das Lahntal

Bis 2020 führte die hessenARCHÄOLOGIE die Ausgrabungen mit eigenem Personal durch. Seither führt die Marburger Archäologiefirma „Wissenschaftliche Baugrund-Archäologie (WiBA GmbH)“ diese jährlichen Untersuchungen weiter fort. Die dem Kiesabbau vorgeschaltete archäologische Erschließung der Auenlandschaft ist nur durch die gute Zusammenarbeit und Unterstützung durch den Baustoffkonzern Lafarge Holcim Ltd. ehemals CEMEX, möglich.

Im Gegensatz zu den flächenhaften Untersuchungsbereichen der Kiesgrube legten die Straßenbaumaßnahmen für die B 3a, der Par-Allna und der B 255, kilometerlange lineare Geländeaufschlüsse durch das Lahntal offen. In enger Absprache mit Hessen Mobil und der hessenARCHÄOLOGIE führte die „Wissenschaftliche Baugrund-Archäologie“ hier zwischen 2007 und 2012 Ausgrabungen über 35 ha Fläche durch. Hierbei wurden rund 700 vor- und frühgeschichtliche Befunde untersucht und große Mengen an Funden geborgen. 

Der interdisziplinäre Blick

Im Spiegel der archäologischen Bodenfunde zeigt sich nunmehr nach über dreißig intensiven Forschungsjahren in der Flusslandschaft zwischen Lahn, Allna und Wenkbach ein komplexes vor- und frühgeschichtliches Siedlungsgefüge, das in seiner Gesamtausdehnung in der wissenschaftlichen Forschungslandschaft Hessens seinesgleichen sucht. Die Wechselbeziehungen der archäologischen, geomorphologischen und archäobotanischen Ergebnisse verleiht dem Natur- und Kulturraum im Umland von Niederweimar eine dritte, historische Dimension. Ziel des Projektes „Archäologie im Lahntal um Weimar (Lahn) ist es, durch die Bereitstellung dieser wichtigen Ausgrabungsergebnisse die interdisziplinäre wissenschaftliche Auswertung und die vollständige Publikation voranzutreiben.