Zeugnisse, Überreste oder Spuren pflanzlichen Lebens werden gemäß hessischem Denkmalschutzgesetz wissenschaftlich untersucht, dokumentiert, dauerhaft inventarisiert und publiziert.
Von den Menschen im Boden deponierter Müll sowie Überreste aller Bereiche des Alltags liefern Einblicke in die Pflanzennutzung und Umwelt vergangener Jahrtausende. Samen, Früchte, Hölzer und andere pflanzliche Funde aus planvoll entnommenen Erdproben archäologischer Ausgrabungen werden in Wiesbaden durch Vergleich mit heutigen Pflanzen bestimmt. Die Wuchs- und Nutz-Eigenschaften der Pflanzenarten erlauben Rückschlüsse auf die Vegetation, das Alltagsleben, die pflanzliche Ernährung, Gemeinschaftsleistungen sowie Feste und Rituale der Vergangenheit.
Die Anfänge
Im Oktober 1990 wurde am Institut der Kommission für Archäologische Landesforschung (KAL) eine Stelle für botanische Großrestuntersuchungen mit Dr. Angela Kreuz besetzt. Dienstort war die Alte Rentkammer in Büdingen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern fehlten in Hessen bis dahin systematische archäobotanische Untersuchungen.
In den ersten Jahren war daher zu allen vor- und frühgeschichtlichen Epochen archäobotanische Grundlagenforschung erforderlich. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworbenen Drittmittel. Finanziert durch diese Förderung bearbeiteten im Laufe der Jahre viele Studierende, Ehrenamtliche und Angestellte in verschiedenen interdisziplinären Forschungsprojekten große Mengen Proben hessischer Ausgrabungen.
Dank der Mitwirkung im DFG-Schwerpunktprogramm „Romanisierung“ zur Untersuchung des Kulturwandels unter dem Einfluss Roms konnten sechs Jahre lang Pflanzenreste aus rund 1200 Proben von 50 keltischen, germanischen und römischen Fundstellen bestimmt und zur Klärung der deutlichen kulturellen Unterschiede ausgewertet werden. Ein für die Fachwelt überraschendes archäobotanisches Ergebnis war dabei die Tatsache, dass die Germanen weder hinsichtlich ihrer Landwirtschaft und Waldnutzung, noch in ihrer Ernährung romanisiert waren. Aufgrund der erfolgreichen wissenschaftlichen Arbeit kam es später zur Angliederung der archäobotanischen Arbeitsgruppe an das Landesamt für Denkmalpflege Hessen in Wiesbaden.
Millionen auf der Bank
Zur Bewältigung der entstehenden Datenflut wurde 1997 das Konzept für das archäobotanische Datenbankprogramm ArboDat erarbeitet, das seitdem in Wiesbaden kontinuierlich weiterentwickelt, ins Englische übersetzt und an die Ansprüche der wachsenden internationalen Nutzergemeinschaft angepasst wurde. ArboDat 2016 ist heute in mehr als 40 archäobotanischen Arbeitsgruppen von Ägypten, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Österreich und der Schweiz verbreitet.
Neben der standardisierten, vollquantitativen Datenarchivierung mit festgelegten Begrifflichkeiten und hinterlegten archäologischen Daten zur Herkunft und Datierung sparen interaktive Funktionen der Datenabfrage und -aufbereitung viel Zeit bei der wissenschaftlichen Auswertung und Datenvisualisierung. Im hessischen ArboDat Datenarchiv in Wiesbaden sind derzeit (Stand 2021) rund 1,75 Millionen Pflanzenrest-Bestimmungen von 435 Pflanzenarten aus mehr als 200 fertig bearbeiteten Fundstellen (Neolithikum bis Mittelalter) erfasst.