Foto. Pressetermin in Hochheim mit dem Bürgermeister Dirk Westedt (Hochheim am Main).

hessenARCHÄOLOGIE

Zwischen Pfostenlöchern und Feldhamstern

In Hochheim am Main wurden am vergangenen Mittwoch die Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen im neuen Gewerbegebiet „Östliche Frankfurter Straße“ vorgestellt. Erste geophysikalische Voruntersuchungen erregten bereits die Aufmerksamkeit der Archäologinnen und Archäologen und auch die Funde überraschten.

Die Stadtgeschichte wird nun rückwärts neu geschrieben.

Dirk Westedt Bürgermeister
Hochheim am Main

Früher Verdacht bestätigt

Bei den Ausgrabungen fanden sich nicht nur unerwartete Nachbarn, sondern auch die ältesten flächig nachgewiesenen Siedlungsspuren auf dem heutigen Stadtgebiet Hochheim. Bereits in älteren Luftbildern ließen sich erste Anomalien erkennen: eine Geschützstellung des 2. Weltkriegs und die Nähe zur spätmittelalterlichen „Mainzer Landwehr“ machten eine archäologische Voruntersuchung unabdingbar. Die ersten Untersuchungsergebnisse der Geomagnetik verstärkten die Vermutung der Archäologie und zeigten zahlreiche archäologische Verdachtsstellen auf, die durch die Bauarbeiten unwiederbringlich zerstört werden würden. Daher wurde eine Grabung notwendig. Mit der Durchführung der eigentlichen Arbeiten, die von Oktober bis Dezember 2021 andauerten, wurde die Fachfirma AAB Archäologie (Berlin) unter der örtlichen Leitung von Frau Silke Hesemann M.A. beauftragt.

Unerwartete Nachbarn

Was begann wie eine normale Maßnahme, entwickelte sich jedoch schnell zu einem Unikat. Denn nicht nur mussten Hesemann und ihr Team eine Vielzahl potenzieller Befundstellen in überschaubarer Zeit untersuchen, es tauchten zudem noch einige ungeplante Nachbarn auf, die die Grabungen erschwerten: Feldhamster. Die in ihren unterirdischen Bauten ruhenden, unter Schutz stehenden Winterschläfer galt es nicht zu stören. Zum Glück für alle Beteiligten kamen sich die Archäologinnen, Archäologen und Feldhamster kaum in die Quere. Bereits in der Planung wurden die Grabungsflächen sehr präzise auf die Befunde zugeschnitten, und selbst die Bagger wurden mit eigens abgesteckten Fahrstrecken vorsichtig um die Hamsterbauten herumgeführt. Dank der guten Zusammenarbeit zwischen Stadt, Fachfirma und hessenARCHÄOLOGIE und einer rechtzeitigen Planung konnten auch diese Hürden im Zeitplan gemeistert werden.

Backteller und eine besondere Bestattung

Die Funde und Befunde belohnten das Team für ihre außergewöhnlichen Bemühungen. Im Rahmen der Ausgrabung konnten 63 Befunde (Siedlungs- und Vorratsgruben, Gräben, Pfostenlöcher) freigelegt und dokumentiert werden. Siedlungsbefunde und Bestattung lassen sich aufgrund des umfangreichen Fundmaterials aus den Gruben in die sogenannte „Michelsberger Kultur“ (4.400-3.500 v. Chr.) datieren. Besonders die sogenannten Backteller halfen hierbei. „Diese Teller sind absolut spezifisch für die Michelsberger Kultur“, erläutert der zuständige Bezirksarchäologe Dr. Dieter Neubauer (hessenARCHÄOLOGIE). Zu den weiteren für diese Kultur charakteristischen Funden zählen Tulpenbecher mit Arkadenrand, Klingen aus Silex (Feuerstein) sowie trapezförmig geschliffene Steinbeile. Aus den Siedlungsgruben wurden zudem zahlreiche Rinder- und Schweineknochen geborgen, was Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten vor über 6.000 Jahren zulässt. Der Nachweis eines für die Michelsberger Kultur typischen Erdwerks, welches sich nördlich der Grabungsfläche fortsetzt, ergänzt das Bild der Siedlungssituation. Außergewöhnlich ist auch der äußerst seltene Nachweis einer Bestattung aus dieser Kultur, wobei gerade die ungewöhnliche Auffindungslage auf den ersten Blick reichlich Raum für Spekulationen lässt. Die etwa 1,64 m große – vermutlich weibliche – Person lag in unnatürlicher Bauchlage mit gestreckten Beinen, über den Kopf angewinkeltem linkem Arm und über dem Becken liegendem rechtem Arm.

Geschichte rückwärts schreiben

Während Funde und Befunde bereits von menschlicher Besiedlung vor der ersten schriftlichen Erwähnung Hochheims im Mittelalter künden, konnte nun erstmals durch Grabungen flächig eine Besiedlung des Gebietes zur Zeit der frühen Michelsberger Kultur nachgewiesen werden – vor immerhin über 6.000 Jahren.

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